Etappe 9: Jochpass-Melchsee Frutt


Treffpunkt und Zeit: Gleich nach dem frühen Zmorge im Berggasthaus Jochpass

Route: Jochpass-Schafberg-Graustock-Schwarzhorn-Rotsandnollen-Frutt

Höhenmeter: 800 aufwärts, 1100 abwärts
Distanz: 14 km
Marschzeit: 5 Std
Schwierigkeit: T6 

 
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Ein heller Schein umrahmt den Giebel des Bergasthauses Jochpass wie eine Krone. Die Sonne steigt auf. Andreas, Urs und ich ziehen los. Das Frühstück, extra von Stefan und Ralf für uns etwas früher zubereitet, gibt uns die Kraft, und die brauchen wir heute auf dieser neunten Etappe: Wir steigen dem Graustock entgegen.

Herrlich der Ausblick zum Engstlenalpsee und der Melchsee-Frutt. Zügig schreiten wir des Weges, gesprochen wird nicht viel. Jeder ist in Gedanken versunken, jeder nimmt die Umgebung für sich wahr. Kräuterwiesen, grün und saftig, sanft der Anstieg. Bald wechselt das Bild, immer steiler wird der Weg, immer steiniger: Mondlandschaft. Wir balancieren über dünn geschichtete, lose Schieferplatten, es ist streng, wir schwitzen, schnaufen.

Steinmanndli weisen uns still die Richtung, und das ist nötig in dieser gleichförmigen und doch sehr spannenden Landschaft. Ich bin immer noch in meinen Gedanken. Der Anruf aus dem Büro gestern Abend beschäftigt mich und mit jedem Schritt dreht sich wie ein Zahnrad das Rädli der Gedanken.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich merke, wie Bewegung hilft: Es „büschelen“ sich die Gedanken, und so arbeitet es im Kopf und in den Beinen im Gleichtakt. Doch plötzlich sind die Gedanken nicht mehr konzentriert, immer wieder fliegen sie davon und sind irgendwo. Es ist, als nutze der Körper die Kraft zum Weiterkommen, nicht mehr für die Gedankenarbeit. Gleichzeitig fällt mir auf, unser Weg steigt viel steiler an als noch vor ein paar Minuten. Ich brauche mehr Kraft zum Gehen und dafür, den Weg im Auge zu behalten, als in meinen Gedanken zu verweilen und geistige Arbeit zu leisten. Dieses Phänomen kennen wir wohl alle. Es ist auch schön, nahezu „gedankenlos“ des Weges zu schreiten. Und trotzdem bringt diese Erkenntnis eine Analogie zu unserem Alltag.
Auch da ist unser Weg manchmal steil und die Arbeit fordert. Das ist auch gut so, aber wenn der Weg immer steil ist und wenn es fast kein flaches Wegstück uns Zeit und Raum zum Erholen gibt, ist es wohl nicht anders als bei der Bergwanderung. Die Kraft reicht nicht mehr, um mit Elan und voller Kraft geistige Arbeit zu leisten. Wir kommen an unsere Grenzen.

Zwischendurch immer wieder diese Grenzen anzutippen und sie sich selber spürbar zu machen, gar auszudehnen, ist wohl nicht schädlich und hilft uns, uns selber zu spüren und besser zu kennen. Aber immer wieder über diese Grenzen hinaus zu gehen, ohne ein flaches Wegstück zuzulassen, führt wohl dazu, dass plötzlich der Körper uns den Takt vorgibt, und das ist dann vielleicht ein Takt, den wir uns nicht gewünscht haben. Es ist nicht einfach, im Alltag immer im Gleichgewicht mit diesen steilen und flacheren Wegstücken zu sein. Aber es ist wichtig, dass wir uns dessen bewusst sind und dass wir uns auch gegenseitig darauf hinweisen.
Mit diesen Gedanken komme ich auf dem Grat an, nehme den Übergang zum Klettersteig noch viel genussvoller wahr. Erfrischt durch einen Schluck Tee montieren wir das Gstältli, klicken die Karabiner ein und hoch geht’s über den Klettersteig zum Graustock-Gipfel. Angelehnt an das gewaltige Marmorkreuz lassen wir unsere Blicke über die herrliche Weite streifen.

Für den Abstieg entscheiden wir uns, ein wenig von der Grenze abzurücken. Zu ausgesetzt und lose erscheint uns der Nordhang des Graustockes. Auch ziehen langsam Wolken auf, und wir müssen die Zeit im Auge behalten. Der Weg bis zum Rotsandnollen ist noch weit und so auch der Ausstieg zur Melchsee-Frutt. So hangeln wir uns wieder den Klettersteig hinunter und umlaufen den Graustock über das hübsche Follenseeli um dann beim Fikenloch wieder auf der Grenze zu stehen.

Einsam ist die Gegend hier und wunderbar still. Die Landschaft ist geprägt vom Gletscher: Er hat bei seinem Rückzug die Landschaft geschliffen, Schrammen und Rillen in den Felsen geritzt. Fein poliert sind sie und sanft geschwungen, geformt zu tausenden warzenähnlichen Gesteinsvorsprüngen, die den Übergang prägen.

Plötzlich taucht eine Gestalt hinter dem Felsen auf. Langsam dahinschreitend mit einem Blechkübel voller gelber Farbe und Pinseln in der Hand, es ist Wildhüter Hans. Er ist unterwegs um die Markierungen des Banngebietes aufzufrischen. Ein kurzer Schwatz und weiter geht es.

Einen geeigneten Weg um das Schwarzhorn zu finden, zeigt sich als schwierig und die immer dunkler werdenden Wolken versprechen nichts Gutes. So entscheiden wir uns, wohl oder übel aus der heutigen Etappe auszusteigen und den Heimweg über die Melchsee-Frutt anzutreten. In der schiefrigen Geröllhalde den Weg suchend, geht es auch nicht lange und die ersten Tropfen fallen. Es ist dann der Bartgeier-Infostand Hangliboden, der uns gerade noch rechtzeitig Unterschlupf gibt.

Während rund um uns immer mehr Gewitterwolken aufziehen und sich fulminant zu entleeren beginnen, erfahren wir von der hier arbeitenden Ornithologin viel Wissenswertes über die Bartgeier und Steinadler. Die Ornithologin arbeitet in einem Container, der etwas höher als der Beobachtungspunkt gelegen ist, sie wohnt sogar da. Immer, wenn sie jemanden zum Infopoint marschieren oder biken oder „secklä“ sieht, kommt sie hinunter, um Fragen zu beantworten.

Das Bartgeier-Junge namens Johannes können wir nirgends entdecken. Dafür begleiten wir, durch den Feldstecher blickend, einen Steinadler auf seinem elegant schweifenden Flug über den Grat des Hengliwangs. Eindrücklich ist es, majestätisch setzt er sich auf einen Felsvorsprung und überblickt unberührt von der Anwesenheit der Wanderer die immer grauer werdende Geländekammer.
Mit diesem Anblick in Erinnerung und vielen anderen eindrücklichen Bildern dieser Etappe schweben wir dann von der Melchsee-Frutt bei prasselndem Regen hinunter in die Stöckalp. Wenn wir auch nicht ganz das Ziel erreicht haben, so wissen wir doch: Einiges zu Wege gebracht haben wir ja schon.