Etappe 10: Melchsee Frutt - Bocki-Rotisand


Treffpunkt und Zeit: Wir haben uns entschieden, die Etappen 10 und 11 zusammenzunehmen. Wir treffen uns um 7.00 Uhr in der Tannalp (Melchsee-Frutt). Es besteht die Möglichkeit, am Vorabend anzureisen und im Berggasthaus Tannalp zu übernachten.

Spezielles: Wir übernachten unterwegs im Bockihüttli

Route: Melchsee Frutt-Rotsandnollen-Hanghorn-Huetstock-Juchli-Arni

Höhenmeter: 1250 aufwärts, 1850 abwärts
Distanz: 18 km
Marschzeit: 9 Std
Schwierigkeit: T6 

 
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Der Wecker rasselt. Bin ich nicht erst ins Bett gestiegen? Leider haben wir nicht im Berggasthaus Tannalp übernachten können, es war ausgebucht. So mussten wir wohl oder übel am Morgen früh raus. Dazu kommt die 1. August-Feier von Büren, die mir noch in den Knochen liegt. Kurz: Es braucht ein bisschen Motivation für den Start – es ist noch dunkel.

Heute haben wir Grosses vor. Die beiden Etappen 10 und 11 haben wir zusammengelegt. Nun ist die Route länger, auch ein Gipfel ist mehr zu besteigen, dafür müssen wir zwischendurch nicht nochmals zu Tal steigen, um am anderen Tag wieder empor zu kommen. Und dann hat es noch ein ganz besonderes, zusätzliches Highlight: Wir dürfen somit den 1. August-Abend und die Nacht im Bockihüttli verbringen. Ein Hüttli, das mir schon in früheren Jahren wichtig war, zu Zeiten von pro natura oder im Winter auf unseren Skitouren. Kein Widderfeldaufstieg geht vorbei, ohne dass eine Rast, angelehnt an der Bockihüttliwand, die Skitour zu diesem speziellen Erlebnis macht, das schon diese Landschaft hier bietet.

Doch vorerst ist noch Morgen und ich bin müde. Erst der Anblick des Fruttsees motiviert mich heute so wirklich. Ruhig ist es hier, und die über den Bergkamm kletternden Sonnenstrahlen tauchen die Landschaft ins Morgenlicht, die Nacht ist vorüber. Der Föhnwind zieht uns um die Ohren und was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Die trotzige Brise wird uns heute den ganzen Tag begleiten, in ihrer vollen Kraft und Ausdauer.

So geht es jetzt stetig voran. Unter dem Bonistock und den Homadgipfeln vorbei, auf und zwischen grossen Felsbrocken kletternd, im Schieferschotter scharrend und rutschend, erreichen wir bald den Tannenrotisand. Der Gipfel des Rotsandnollen ist nicht mehr fern. Noch nicht neun Uhr und wir stehen auf dem Gipfel. Majestätisch. Rund um uns ist Ruhe, dazu diese Fernsicht. Ein grosses Steinmandli ziert den Gipfel.

Heute ist 1. August. Geburtstag der Schweiz. Ich stecke meine Nidwaldner Fahne, die mich auf der ganzen Grenztour begleitet, in den Steinmandlispitz. Irgendwie berührt mich dieses Bild. Die Nidwaldner Fahne mit all den Aufschriften der Leute, die mich auf der Grenztour bis jetzt begleitet haben, weht am Geburtstag der Schweiz auf dem Gipfel des Rotsandnollen in dieser archaischen ungeschmückten, ehrlichen Landschaft. Obwohl im Föhnwind heftig flatternd, bleibt dieses Flattern ruhig und still. Immer wieder erreichen uns Windböen, wir ziehen unsere Reissverschlüsse noch höher, das Stirnband noch tiefer über die Ohren.

Bevor es weitergeht, will ich doch das Bild des Glücks hier oben auf dem Nollen festhalten. Und um möglichst viele Leute auch daran teilhaben zu lassen an diesem ganz besonderen 1. August-Feuerwerk, stelle ich es auch gleich in Facebook online. Sodeli. Alles eingepackt, die Erinnerungsfotos sind geknipst, es kann weitergehen, schliesslich stehen noch ein paar Gipfel auf dem Programm heute. Kurz ein Blick aufs Handy. Nein, die gepostete Nachricht geht nicht raus. Ja, vielleicht ist es der Wind, die Botschaft wird den Weg schon finden, denke ich und ziehe weiter mit Urs und Andreas.

Mit jedem Schritt geht es wieder in die Tiefe, hinunter bis ins Hobiehl. Schotterig ist es und jeder Tritt ist unsicher. Doch schon bald erreichen wir den Einstieg in den Ober Fed am Huetstock. Die lockere Kletterei gefällt uns sehr und insbesondere die Edelweisse, welche die felsigen Alpmatten zieren und uns einfach stumm staunen lassen. Bis zum Huetstock ist Trittfestigkeit und Ausdauer gefragt. Steil ist das Gelände, lange der Anstieg, dazu der Föhnsturm, der wacker an uns rüttelt und uns immer wieder ins Wanken bringt. Ja, der Föhn, mit ihm haben wir nicht gerechnet. Einerseits empfangen wir die Föhnfische am Himmel gerne. Denn wie heisst doch die Wetterregel: Solange sie am Himmel stehen, trocknet der Föhn die Wolken ab und es regnet nicht vor dem Abend. Nicht nur die Wolken stehen getrocknet am Himmel. Auch wir haben mit Durst und Trockenheit zu zanken.

Pünktlich zu Mittag auf dem Gipfel des Huetstock ist es aber wieder die Aussicht, das Erreichte, was uns berührt und für die Strapazen entlohnt. Das Sandwichpapier, Jacken und Pullis drohen im Wind weg zu fliegen, und unseren Schmaus aus dem Rucksack geniessen wir in windabgekehrter Haltung. Ein Foto gefällig vom Gipfelkreuz und ein Selfie von uns dreien. Wow, welch’ wunderbarer Moment, ja dies könnte doch die ganze Familie und die Freunde im Tal interessieren.

Dem Bedürfnis folgend, alle an unserem Erfahrenen teilhaben zu lassen, drücke ich auf "Senden" bei Whatsapp. In Gedanken schon ahnend, welch Staunen und Freude dieses Bild auslösen wird, warte ich auf das Zeichen "versendet". Doch stattdessen flimmert "Verbinden" auf dem Bildschirm… hmmm, naja: ist wohl nicht der beste Empfang hier oben. Die Facebookbotschaft steckt ebenfalls immer noch im Ausgang.

Durchgepustet starten wir zum Abstieg hinunter vom Huetstock über den Zahm Geissberg bis zum Juchlipass. Hier scheinen die Arme des Föhns nicht hinzugelangen. Wir geniessen die Windstille, obwohl nun die Hitze hier drückt. Plötzlich vernehme ich ein Surren am Natel. Ein Anruf dringt zu mir. Während des Gehens nehme ich ab und schon fast sofort verstummt die Stimme am anderen Ende: Die Verbindung ist gekappt. Es ist wohl so, hier auf dieser Wanderung sind wir ohne Empfang. Hmm, was soll ich nun davon halten? Soll ich mich jetzt darüber freuen, endlich nicht immer erreichbar zu sein? Oder verspüre ich da nicht sogar eine leichte Verärgerung wegen dieser digitalen Stille? Der Marsch geht weiter. Unser letzter Gipfel, das Nünalphorn, wollen wir noch erklimmen. Meine Gedanken bleiben aber beim Smartphone hängen.

In der Regel ist am Abend das Smartphone das Letzte was ich in der Hand habe, und nach dem Aufwachen das Erste, worauf ich schaue. Während der Kaffee durchläuft, schaue ich aufs Natel, dann auch beim Zähneputzen. Kaum im Zug sitzend, lese ich die Artikel, die ich auf dem Smartphone gespeichert habe. Steige ich aus und habe wieder Netz, gucke ich schnell nach den neuen Nachrichten auf Whatsapp oder Facebook. Selbst beim Zeitunglesen schaue ich zwischendurch aufs Natel. Warum? Ich weiss es nicht. Aber was ich weiss ist, dass ich es schätze, im Arbeitsalltag die Vielfalt der digitalen Medien zu nutzen. Und hier in den Bergen nehme ich den Offline-Zustand nicht als Notsituation, ausgelöst durch Funkloch oder Akkuversagen. Vielmehr nehme ich dies als eine Einladung zur inneren Einkehr und zur Zuwendung meiner Umgebung.

Dass dies ein wahrer Genuss ist, erlebe ich heute Abend im Bockihüttli, keine Wifi-Welle erreicht es, auch von dem fulminanten Gewitter, das jedes 1. August-Feuerwerk in den Schatten stellt, fliegt kein Whatsapp-Bildli ins Tal. Da ich eh weiss, dass es keinen Empfang gibt, schaue ich erst gar nicht auf mein Smartphone. Und so erreichen statt Wifi- oder G4-Wellen ganz andere Wellen das Bockihüttli, die der Gemütlichkeit und Gastfreundschaft, und sie haben uns den Abend mit vielleicht typischen Schweizer Werten geniessen lassen: klein aber fein, gemütlich und gastfreundlich.

Und übrigens: Meine 1. August-Facebookbotschaft fand auch am 2. August noch ein paar "Gefällt mir"!

:-)