Etappe 8: Trüebsee - Jochpass


Treffpunkt und Zeit: 8.15 an der Talstation der Titlisbahn

Route: Trüebsee-Laubersgrat-Rotegg-Rotstöckli-Steinberg-Jochstock-Jochpass

Höhenmeter: 1300 aufwärts, 850 abwärts
Distanz: 8 km
Marschzeit: 5.5 Std
Schwierigkeit: T6 

 
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Es klimpert auf dem Parkplatz. Marianne, Urs, Andreas und ich, wir packen unsere Rucksäcke für die Tour über Fels und Eis. Pickel, Steigeisen, Eisschrauben, Seil und Klettergstältli sollen unsere Sicherheit unterstützen. Schliesslich geht es heute hoch hinaus, auf den höchsten Punkt von Nidwalden, der Ranzen ist gefüllt bis zum Bersten.

Von der Bergstation Trübsee steigen wir hoch über den Laubersgrat, die Sonne lässt uns schon bald ihre Stärke spüren. Der Aufstieg gibt unseren Blick frei über das touristische Intensivnutzungsgebiet des Titlis. Der Steinberg-Gletscher glänzt in der Sonne und lässt uns bei seinem Anblick blinzeln. Einige Male überqueren wir die Skipiste, braun ist sie im Sommer, steinig. Am Rindertitlis gönnen wir uns einen kräftigen Schluck Wasser, treibt uns der Anstieg doch schon einige Schweisstropfen aus den Poren. Hoch zum Unter Rotegg gehen wir durch eine dunkle, schiefersteinig glänzende Landschaft, nahezu vegetationslos. So muss es sich anfühlen, auf einem fremden Planeten zu stehen. Auch die bizarren Felsformationen lassen mich immer wieder staunen.

Der Blick vom Unter Rotegggipfel lässt uns abermals auf einem anderen Planeten wähnen. Hier, am südlichen Fuss des Gipfels, strahlt uns der Tourismus entgegen. Nicht nur Wanderer gibt es in dieser prachtvollen Bergwelt, auch orangene Gestalten, ausgerüstet mit Helm, bewegen sich am Rand des Galtiberggletschers, lassen den Presslufthammer unermüdlich seinen Bolzen in die Felsen schlagen: Es werden Leitungen für Beschneiungsanlagen gelegt. Der Sommer hier oben ist kurz, und für den Winter will man gerüstet sein.

Unsere Augen suchen sich den Weg über den Galitberggletscher, um einen optimalen Einstieg zum Rotstöckli zu finden. Die Gstältli und Steigeisen montiert, angeseilt und den Pickel in der Hand – es geht los über den Gletscher. Wenn auch die Strecke über den Gletscher nur kurz und kaum mit grossem Gefahrenpotential verbunden ist, staunen wir doch: Zwei Männer in Shorts, mit Steigeisen, ohne Seil, weit voneinander entfernt "seckläd" den Gletscher hinauf. Ja, die Welt hier ist facettenreich.

Dann der Klettersteig am Rotstöckli, er ist von ganz besonderer Art.  Als kurz und knackig wird er beschrieben und er ist es auch. Eigentlich diente er ursprünglich dem Unterhalt der Sprengbahn. Das ist typisch Engelberg, das ist typisch Titlisgebiet: Technik, Tourismus und Alpinismus vereinen sich. So vermischt sich auch das Klimpern der Karabiner beim Klettern mit den kreischenden Stimmen der Asiaten am Fusse des Berges. Was wir alles erleben, während wir hier im Fels hängen. Dort, in Gummipneus sitzend, fliegen die Asiaten kreischend durch den glitzernden Schnee, und das Leben hier am Berg erscheint uns ein bisschen surreal.

Jetzt, nach dem Abstieg vom Rotstöckli, stehen wir vor einer weiteren Herausforderung: Wir möchten den Titlisgletscher möglichst grenznahe überschreiten. Gletschertouren faszinieren mich immer wieder. Ich fühle mich wohl auf dem harschen Eis und ich vertraue den Haken an meinen Steigeisen, die mir beim Abstieg Halt geben.

Das Johlen der Touristen ist nicht mehr zu vernehmen, dafür höre ich das Gurgeln des unterirdisch fliessenden Baches. Die unermessliche Kraft und die Mystik des Eisriesen machen wohl nicht nur mich demütig und sprachlos. Alle vier schreiten wir ruhig und jeder für sich über die Zunge des Titlisgletschers zum Ausstieg an den Steinberg. Wir geniessen diesen Weg in aller Stille und gleichzeitig bringen wir konzentriert die nötige Sorgfalt auf.

Dann, am Steinberg, erwarten uns steile Hänge, kantige Felsen und rutschiges Geröll. Diese Lebendigkeit der Geröllplatten muss auch Urs erfahren. Ein Schritt in den losen Schotter bringt in kurzum zu Fall und lässt ihn wie ein Käfer auf dem Rücken zappeln. Zum Glück ist nichts passiert. Mit vereinten Kräften ziehen Marianne und ich Urs aus seiner misslichen Lage, alle müssen wir schmunzeln und lachen. So lassen sich die paar "Chräble" an Arm und Hand auch besser ertragen und die Wegsuche kann weitergehen.

Plötzlich, während wir über Moränen und Felsbänder steigen, erblicken wir ein paar Gämsen vor uns. Gebannt folgen wir ihnen mit dem Blick, es werden immer mehr Gämsen. Schliesslich zählen wir mehr als 50 Gämsen am Felsen, als wir vorsichtig über die Geländekammer äugen. Beeindruckt von diesem Schauspiel steigen wir weiter. Marianne musste leider schon den Abstieg antreten, ihre Arbeit ruft, und wir drei dürfen jetzt vom südlichsten Punkt Nidwaldens die letzten hundert Höhenmeter zum Jochstock in Angriff nehmen.

Zufrieden, müde, ja tief beindruckt von all dem, was wir heute erlebt haben, steigen wir dem Berghaus Jochpass zu. Wir werden freundlich empfangen, und diesen Komfort nehmen wir heute liebend gerne an: ein heimeliges Zimmer, ein kräftiger Wasserstrahl in der Dusche und das gemütliche Ambiente, das mit viel Begeisterung und Sorgfalt in diesem Haus gepflegt wird.

Bei einem kühlen Bier schweifen unsere Gedanken durch diesen Tag. Kontrastreicher könnte eine Gegend nicht sein. Engelberg mit dem Titlisgbiet ist zweifelsfrei eine Tourismushochburg. Tourismus und Hochgebirge – diese Stichworte triggern die Klischees: Pseudofolklore, Landzerstörung und der drohende Ausverkauf der Alpen.

Doch ist dem wirklich so? Wir haben ja auch anderes gesehen, zum Beispiel auf der Gerschnialp. Die Kühe, die Wildkräuter grasen. Die Ziegenwurst, hausgemacht. Käse, in Delikatessen-Qualität. Sehr kreativ, sehr selbstbestimmt. Vielleicht passen sie ja zusammen, der Massentourismus und die kleinen feinen Betriebe. Und wir in der Politik, wir müssen schauen, dass die Rahmenbedingungen für beide so gut wie nur möglich sind. Und schliesslich schätzen wir beide Erfolge: den der Nischen auf der Gerschnialp und den des Massentourismus im Titilisgebiet, beide in wirtschaftlich herausfordernden Branchen.

Und persönlich? Da werde ich wohl weiterhin eher den Käse geniessen als auf einem Gummipneu durch den Schnee fliegen.

Dann ins Bett, offene Fenster, welche Luft!